Die Synagoge mitten in Marburg ist Gebetshaus, Lern- und Versammlungsort der Marburger Juden. 1897 eingeweiht wird sie nur 41 Jahre alt. Im Pogrom vom 9. November 1938 setzen die Nazis sie in Brand. Die Ruinen werden gesprengt, der Platz mit Erdreich verfüllt. Im Juli 1939 kauft die Universität den Baugrund, der allerdings unbebaut bleibt. 1963 sorgen Studierende für einen ersten Gedenkstein. Das Grundstück wird jedoch erst 40 Jahre später an die Jüdische Gemeinde zurückgegeben. 2008 beginnt die Umgestaltung zu einem zeitgemäßen Gedenkort. Die 1915 in Mardorf geborene Jüdin Ilse Flachsmann, geborene Israel, nimmt in dieser Synagoge am religiösen Unterricht und an Gottesdiensten teil. Während des Nationalsozialismus kommt sie mit Bruder und Vater nach Kassel in ein Judenhaus. 1942 wird sie nach Theresienstadt deportiert, wo sie ihrem späteren Mann Leo Flachsmann begegnet. Nach ihrer Befreiung am 12. Mai 1945 geht Ilse nach Kirchhain bei Marburg, dem Heimatort ihres Mannes, wo sie heiraten. Nach seinem Tod 1954 zieht sie schließlich nach Marburg. Als die Jüdische Gemeinde in den 1980er Jahren mit wenigen Marburger Juden wiedergegründet wird, ist Ilse Mitglied der ersten Stunde. Durch jüdische Zuwanderung aus den GUSStaaten wächst die Gemeinde bis zur Jahrtausendwende stark. Heute hat sie um die 300 Mitglieder und eine neue Synagoge im Südviertel. Als Ilse 2008 stirbt, ist sie die letzte Schoah-Überlebende im Landkreis Marburg-Biedenkopf.
Der
rote Bleistiftspitzer ist Werbung für die Kirchhainer Schreinerei
Flachsmann. Er erinnert an die Lebensgeschichte von Ilse Israel (1915
- 2008) und Leo Flachsmann. Das spätere Ehepaar überlebt den
Holocaust, kehrt in die alte Heimat zurück und führt in Kirchhain
eine Schreinerei. Leo Flachsmann stirbt schon 1954 an den Folgen der
KZ-Inhaftierung. Ilse lebt ab 1955 bis 2008 in Marburg und nimmt dort
wieder am jüdischen Gemeindeleben teil.
Der
„Garten des Gedenkens“ befindet sich an der Stelle, an der bis
zu ihrer Zerstörung am 9. November 1938 die jüdische Synagoge
stand. 2009 haben sich die Universitätsstadt Marburg und die
Jüdische Gemeinde im Rahmen eines Landschaftskunst-Wettbewerbs für
die heutige Gestaltung des Landschaftsarchitekten Rainer Sachse und
der Künstler Oliver Gather und Christian Ahlborn entschieden. Ziel
ist es, einen Ort des Verweilens und Innehaltens mitten in der
verkehrsreichen und geschäftigen Universitätsstraße zu schaffen.
Der Begriff „Garten“ erinnert daran, dass Gedenken nichts ist,
was mit der Errichtung eines Denkmals abgeschlossen ist. Es ist
etwas, das immer wieder und immer weiter wachsen muss. Zehn Kästen
sind in den Rasen eingelassen. Auf sogenannten Zetteln hinterlassen
unterschiedliche Menschen ihre Gedanken zum Ort und zur Schoah aus
ihrem jeweiligen Blickwinkel. Ihre Bestückung übernimmt jedes Jahr
eine andere Bevölkerungsgruppe. Bürger*innen erinnern so an die
Verbrechen des Holocaust und bekennen sich zu Menschenrechten und
Toleranz.
Dieses Schild
mit einem Zitat von Sylvie Cloutier befand sich ein Jahr lang in
einem Zettelkasten im Garten des Gedenkens und zeigt deshalb
deutliche Witterungsspuren. Die Objektgeberin war Mitglied im
Ausländerbeirat und sieht in der Chance, durch ihre Teilnahme ihre
Gedanken zum Holocaust öffentlich auszustellen, ein grundsätzliches
Zeichen von Akzeptanz in der heutigen Stadtgesellschaft.
Leihgeberin:
Sylvie Cloutier